Vom leisen Piep bis zum fetten Beat: So entführt das Kollektiv Eigenklang Menschen in neue Welten

Maike und Beat vor dem Klangkopf: Seine Ohren werden für die Teilnehmer*innen quasi zu den eigenen – er hört auch die leisesten Geräusche wie das Rascheln einer Plastikverpackung.

An unserem Fachtag veranstalteten verschiedene Akteure Workshops. Die Mitarbeiter von Eigenklang führten insgesamt zwei Workshops zur interaktiven Soundperformance durch. Im Nachhinein konnte Lisa Brüßler noch ein Interview mit ihnen führen. 

Vom leisen Piep bis zum fetten Beat: So entführt das Kollektiv Eigenklang Menschen in neue Welten

Maike, Johannes und Beat sind Teil des Kollektivs Eigenklang. Die Künstler*innen haben eine interaktive Soundperformance entwickelt und zeigen, wie Klänge Gemeinschaft und Inspiration schaffen können. Die Teilnehmer*innen entdecken, wie Musik verbindet und erleben, wie sich ein Raum in einen Soundspielplatz verwandelt.

Eine goldene Kugel hängt an einem Kabel in der Mitte des Raumes. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine Diskokugel, doch bei näherem Hinsehen fallen zwei große Ohren auf, in denen Kopfhörer stecken. Es handelt sich um eine Installation mit binauralen Mikrofonen, die alle Geräusche im Raum aufnehmen. Am Mischpult hinter dem Klangkopf und an den im Raum verteilten Instrumenten hantieren Maike, Johannes und Beat vom Kollektiv Eigenklang. Sie verwandeln den Raum in einen Soundspielplatz: Die Ohren des Klangkopfes werden für die Teilnehmer*innen der interaktiven Performance quasi zu den eigenen. Mithilfe von Loops, Echos, Synthesizern, Bässen, Instrumenten, Geräuschen und den Stimmen entstehen immer neue Klänge, die die Menschen über ihre Funkkopfhörer in eine neue Welt entführen.

Johannes, Maike, Beat, was genau macht ihr als Kollektiv?

Kollektiv Eigenklang: Wir sind unterwegs als Kollektiv Eigenklang – manchmal sind auch noch mehr Leute dabei. Wir haben vor etwa sechs Jahren begonnen, eine interaktive, partizipative Audio-Musik-Performance zu entwickeln, die man mit Funkkopfhörern erleben kann. Damit sind wir in Deutschland und auch im Ausland unterwegs. Ein Klangkopf in der Mitte des Raumes nimmt mittels binauraler Mikrofone alle Geräusche im Raum auf, die von den Teilnehmer*innen und uns erzeugt werden. Diese Klangwelt bekommen dann alle in Echtzeit auf die Ohren – und die ist immer anders. Es macht natürlich einen Unterschied, ob man drinnen, draußen oder im öffentlichen Raum ist.

Wie ist das Kollektiv Eigenklang denn entstanden?

Kollektiv Eigenklang: Wir haben alle einen künstlerischen Hintergrund: Maike kommt aus dem pädagogischen Bereich, Beat arbeitet viel mit visuellen Elementen, Johannes ist vor allem Musiker und kümmert sich auch um medienpädagogische Inhalte. Wir haben uns zum Teil an der Kunsthochschule in Kassel kennengelernt und die Documenta16 hat uns dann vereint. In der Corona-Zeit haben wir angefangen, mehr soziale Projekte zu machen, zum Beispiel mit Jugendlichen oder mit Menschen mit Behinderung. Und daraus hat sich noch ein Verein mit dem Namen „Eigeninitiative“ entwickelt, für alles, was künstlerische mit sozialen und kulturellen Ansätzen verbindet – egal ob Trickfilme, Hörspiele oder Kulturveranstaltungen.

Wie genau ist denn die Idee entstanden, interaktive Soundperformances anzubieten?

Kollektiv Eigenklang: Die Idee entstand beim Experimentieren mit Sounds. Was uns alle verbindet, ist der partizipative Ansatz: dass wir die Leute ins Machen bekommen wollen. Manchmal treten wir mehr selbst als Künstler*innen auf, aber oft ist das Interaktive gefragter und wichtiger. Die Methode ermöglicht, dass man niedrigschwellig Leute schnell ins freie Musizieren bringt – das liegt vor allem daran, dass die Mikrofone eben alles hören, was reinkommt und die Teilnehmer*innen nicht erst ein Mikro in die Hand nehmen müssen.

Das heißt, je nach Gruppe ist die Klangwelt, die entsteht, jedes Mal komplett anders?

Kollektiv Eigenklang: Komplett würde ich nicht sagen. Es ist je nach Ort immer anders. Manchmal ist es mehr angeleitet, zum Beispiel, wenn es einen Workshop-Charakter hat, aber oft ist es auch eine freie Jam.

Ihr baut dafür auch immer ein gewisses Setting auf.

Kollektiv Eigenklang: Ja, ich würde sagen, das ist Teil der Performance: Es geht immer um die Raumgestaltung. Wenn es abgedunkelt ist und die Lichter an sind, schaffen wir eine spezielle Atmosphäre. Es entsteht eine immersive Erfahrung, die die Teilnehmer*innen in eine andere Welt bringt – raus aus dem Seminarraum, rein in die Musik und das Gruppenerlebnis.

Es geht also sowohl darum, individuell einen Zugang zu sich selbst zu finden, als auch für die Gruppe, die vor Ort ist – und auch für euch, die das steuern.

Kollektiv Eigenklang: Genau, es ist eine tolle kollektive Erfahrung, bei der alle gemeinsam Musik machen. Aber gleichzeitig dieses Individuelle, dieses ich höre mich und plötzlich klinge ich ganz anders, weil es Echo und Hall gibt. Das ist es auch, was uns so antreibt, wenn Teilnehmer*innen sagen, dass das eine Erfahrung war, die sie berührt hat, die sie so noch nie erlebt haben. Das hat uns letztendlich dazu bewogen zu sagen, das kann man auch beruflich machen.

Welche Bereiche müsst ihr als Team dabei im Blick haben?

Kollektiv Eigenklang: Bei größeren Events gibt es drei Bereiche, die man abdecken sollte: Das ist einmal der Einlass und die Kopfhörerausgabe, also den Leuten zu erklären, wie die funktionieren als auch den Raum zu erklären. Dann gibt es die Awareness um den Kopf, denn es ist ja ein Live-Mixing. Aber auch nicht zu viel, weil man will die Impulse der Menschen nicht stoppen – es geht ja darum, sich auszuprobieren. Und dann gibt es noch das Musikalische und Technische, dass man das, was entsteht kuratiert und effektiert. Da ist es schon wichtig, dass man mindestens zu dritt ist.

Ihr nehmt also viele Impulse auf, die kommen, und entwickelt sie weiter?

Kollektiv Eigenklang: Genau, wir arbeiten sehr frei und improvisiert: Jedes schüchterne Singen, jedes ‚Piep‘, ‚Miau‘ oder was auch immer wird aufgenommen. Das versuchen wir am Klangkopf zu transformieren, einen Singkreis entstehen zu lassen oder das, was da ist im Raum, zu pushen, ohne selbst in den Vordergrund zu treten. Wir steuern oft ein bisschen die Stimmung, wenn sich das an einer Sache aufhängt, alle nur noch albern sind oder in einen Singsang verfallen. Dann brechen wir das zum Beispiel mit einem fetten Beat auf, um woanders hinzugehen, den Raum zu halten.

Auf welche Methoden greift ihr in der Soundperformance zurück?

Kollektiv Eigenklang: Es ist viel autodidaktisch entstanden, aber wir bedienen uns bei musikpädagogischen Methoden. Musikalisch ist es natürlich eine Impro-Live-Geschichte: Zum Beispiel greifen wir auf Elemente vom Circle Singing, Zeremonien, rituelle oder festliche Elemente zurück und passen das dann der Situation an. Es geht viel um Empowerment und Selbstwirksamkeit, dass ein kreativer Erfahrungsraum entsteht, der wertfrei ist: Also dass es nicht darum geht, ein Instrument perfekt zu spielen, sondern dass Geräusche, Töne und Klänge auch Teil von Musikalität und Kunst sind. Durch die Effektierung muss man nicht perfekt den Ton treffen. Die Effekte helfen dabei, dass eine Harmonie hergestellt wird. In Bezug auf Kommunikation geht es natürlich um das gemeinsame Erschaffen ohne große Absprachen und sich gegenseitig inspirieren. Aber auch darum, sich Raum zu nehmen und Raum zu geben, zu schauen, ab wann bin ich zu laut.

Auf so eine Erfahrung muss man sich natürlich auch einlassen (wollen). Wie brecht ihr zum Beispiel in der Arbeit mit Jugendlichen das Eis?

Kollektiv Eigenklang: Die Kopfhörer helfen auf jeden Fall, manchmal auch das Abdunkeln. Wir arbeiten auch mit Spielen oder Freestyle und Rappen: Wenn man da gut performt, dann erreicht man da Staunen und den Ehrgeiz, dass die anderen auch etwas von sich zeigen. Oder Audioeffekte, zum Beispiel wenn man mit verstellter Stimme in Echtzeit spricht – da ist die Technik ein Hilfsmittel, um aus der Komfortzone herauszukommen.

Mehr zum Kollektiv Eigenklang erfahren: https://kollektiv-eigenklang.com

BU: Mithilfe von Loops, Echos, Synthesizern und Bässen entstehen immer neue Klänge.

Mithilfe von Loops, Echos, Synthesizern und Bässen entstehen immer neue Klänge.

Das Interview und die Bilder wurden von Lisa Brüßler erstellt.

Diese Webseite verwendet personenbezogene Daten wie Cookies und IP-Adressen, um ein optimales Nutzungserlebnis anzubieten. Durch die Nutzung dieser Webseite erklären Sie sich damit einverstanden. Weitere Informationen und Einstellungsmöglichkeiten finden Sie unter Datenschutz Homepage