BU: Janvi Devi erklärt in ihren Workshops, warum ein systemischer Wandel und neue Bildungsformate entscheidend sind.
Auch Janvi Devi veranstaltete einen Workshop zum Systemischen Wandel und neuen Bildungsformaten, während unseres Fachtages. Lisa Brüßlers Frage: „Wie können Jugendarbeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung diverser werden“ beantwortete sie wie folgt:
Die Studentin Janvi Devi beschäftigt sich seit ihrer Jugend mit den Themen Rassismus, Klimawandel und den Auswirkungen der kolonialen Vergangenheit. Im Interview erzählt sie, was Klimagerechtigkeit wirklich braucht und warum es mehr um einen systemischen Wandel als um Plastik-Strohhalme gehen sollte.
Janvi, du beschäftigst dich schon seit deiner frühen Jugend mit Themen rund um die Klimakrise und gibst Workshops zu Rassismus und Klimagerechtigkeit. Wie kam es dazu?
Janvi Devi: Als ich 16 Jahre alt war, habe ich versucht, im Bereich der Klimakrise aktiv zu werden, bin da aber irgendwie nicht reingekommen und ich wusste nie warum. Nach dem Abitur habe ich dann ein Freiwilliges Ökologisches Jahr bei der BUNDjugend gemacht und mich danach auch im Vorstand engagiert. Mittlerweile studiere ich Regionalwissenschaften Südasien und beschäftige mich viel mit Nationalismus, aktuellen Krisen und intersektionalen Zusammenhängen. Die Auswirkungen der kolonialen Vergangenheit und Rassismus spielen in meinem Leben eine große Rolle.
Genau um diese Themen – wer Gehör findet und wer nicht – ging es auch in deinem Workshop am Fachtag.
Janvi Devi: Ja, es ist immer wieder toll zu sehen, wie Menschen über diese Themen sprechen. Gleichzeitig muss ich sagen, dass es Schwierigkeiten gibt, die nicht so leicht aufzufangen sind. Ich mache Jugendarbeit, wie ich sie gerne hätte, und die Fachkräfte machen Jugendarbeit, wie sie sie sich vorstellen. Dann kommen wir mit zwei unterschiedlichen Erfahrungshorizonten zusammen. Es gibt zum Beispiel viele weiße Menschen, die den ökologischen Fußabdruck als Konzept nutzen. Ich halte davon nichts, weil ich nicht verstehe, warum man Menschen sagt, dass sie gute oder schlechte Menschen sind, je nachdem, was sie konsumieren. Das Problem ist nicht, eine Zahnbürste oder einen Strohhalm aus Plastik zu benutzen. Das Problem ist ein System, das auf Kapitalismus, Ausbeutung und Mord aufgebaut ist. Und dagegen wird wenig getan. Mein Ansatz ist, Druck auf den Staat auszuüben, das zu ändern.
Fehlt dir trotz der zuletzt gestiegenen Protestaktionen immer noch eine vertiefte gesellschaftliche Debatte über die systemische Ebene?
Janvi Devi: Vielen sind die Auswirkungen auf andere Menschen nicht bewusst. Ich habe den Eindruck, dass viele weiße Menschen sich oft in eine Art Unbeholfenheit begeben, die beinhaltet, dass sie nichts tun können. Manchmal habe ich den Eindruck, das Ergebnis des Satzes „Reflektiert eure Privilegien“ ist, dass einige das tun und dann ist das abgeschlossen – aber es gibt kein Handeln! Eigentlich bräuchte es vor Workshops zu Kolonialismus oder Gerechtigkeit daher einen Anti-Rassismus-Workshop, um Bewusstsein für diskriminierende Strukturen zu schaffen.
Du arbeitest mehr mit Jugendlichen als mit Fachkräften. Gibt es, wenn du über diese Themen sprichst, Unterschiede in dem, was dir gespiegelt wird?
Janvi Devi: Ich arbeite sehr gerne mit Jugendlichen, vor allem im außerschulischen Kontext. Ich habe den Eindruck, es ist schwieriger durchzudringen zu Menschen, die älter sind, als zu Jugendlichen. Ich möchte Menschen dazu bewegen und motivieren, die Gesellschaft mit zu verändern. Es frustriert mich, wenn Menschen am Ende eines Workshops traurig dasitzen. Mein Ziel ist es, in dieser momentan ziemlich hoffnungslosen Situation mitzugeben, dass man nicht selbst der Fehler ist. Das allein kann auch Hoffnung geben und motivieren, etwas dagegen zu tun, Verantwortung zu übernehmen.
Wie kann die internationale Jugendarbeit denn aus deiner Sicht diverser und inklusiver werden?
Janvi Devi: Internationale Zusammenarbeit wird überwiegend von sehr privilegierten Menschen gemacht. Es müssen viel mehr PoC und BIPoC in die entsprechenden Arbeitskontexte einbezogen werden. Sie sind aktuell viel zu wenig vertreten, werden wenig angefragt und wenn, dann oft nur zu bestimmten Themen. Wenn man als nicht-weiße Person viel Anti-Rassismus-Arbeit mit weißen Personen macht, ist das auf Dauer nicht gesund. Ich feiere jede BIPOC-Person, die trotz der Hürden in die Bildung geht und jungen Menschen jeden Tag den Raum bietet, der vielleicht zuhause nicht geboten werden kann. Aber es ist noch etwas anderes nötig: Bildungsarbeit braucht aus meiner Sicht auch andere Formate – sie muss mehr in die Herzen der Menschen gehen.
Deshalb arbeitest du viel mit Videos, die die Perspektive von Betroffenen zeigen?
Janvi Devi: Ja, es bringt immer Emotionen rüber, wenn Menschen selbst von ihren Erfahrungen erzählen. Davon, wie sie eine Situation erleben. Das funktioniert übrigens auch im Kontext von wissenschaftlichen Fakten, wie etwa dem Klimawandel.
Bleiben wir mal beim Klima: Welchen Einfluss haben persönliche Erfahrungen zum Beispiel auf das Engagement?
Janvi Devi: Man kann sich nur für etwas interessieren und über etwas Sorgen machen, das man kennt. Ich habe zum Beispiel Freunde in Südindien, die sich sehr stark für Klimagerechtigkeit einsetzen, weil es um ihr Zuhause geht. Ich bin in einem Dorf in Indien mit einer großartigen Natur und in Hannover aufgewachsen, wo es sogar Wald in der Stadt gibt. Hätte ich diese Verbindungen nicht gehabt, würde ich heute vermutlich nicht über Klimagerechtigkeit reden. Ich habe das Gefühl, wir sind insgesamt ziemlich abgeschottet von der Natur – auch in den Schulen geht man wenig in die Natur, erlebt den Wald oder das Meer.
Wie schaust du auf Bildung für nachhaltige Entwicklung und transformatives Lernen?
Janvi Devi: Die Ansätze sind sehr gut, aber trotzdem scheint es mir eine sehr westliche Art des Lernens zu sein: BNE ist sehr weiß. Aus meiner Sicht wird oft noch zu traditionell gedacht, zu sehr darauf geachtet, dass alles auf alle Menschen passen muss. Zwei Beispiele: Ich hatte vor kurzem eine Person in einem Workshop, die nicht lesen konnte. Ich habe für sie dann 20 TikTok-Videos zum Thema herausgesucht, damit sie mitlernen konnte. Eine andere Person konnte nicht im Sitzen lernen, der habe ich gesagt, dass sie auch stehen oder sich im Raum bewegen kann. Wieso nicht?
Wie müsste Bildung gestaltet werden, dass sie unterschiedliche Erfahrungen besser berücksichtigt?
Janvi Devi: Ich habe das Gefühl, dass Geschichte anders beigebracht werden muss. Es war nicht alles so friedlich, wie es oft wirkt. Sobald es Diskriminierung und Ungerechtigkeit gibt, muss man laut werden – das ist noch nicht angekommen in der westlichen Gesellschaft. Auch in den Medien kommen viele Perspektiven einfach nicht vor.
Es gibt es eine riesige Bandbreite an Erfahrungen, die noch nicht sichtbar ist, die aber – auch in der BNE – mitbedacht werden müssen, damit es nicht zu einer Retraditionalisierung kommt. Im Workshop habe ich zum Beispiel betont, dass es zwar um Kolonialismus geht, aber auch in Europa Menschen diskriminiert werden. Es macht einen Unterschied in der Gesellschaft, ob man das zeigt oder nicht. Ich glaube zum Beispiel, dass wir nur deshalb so viel über den Klimawandel reden, weil Schüler*innen nicht zur Schule gegangen sind, weil Menschen sich auf Straßen geklebt haben. Hätten sie das nicht gemacht, wären die Weltklimakonferenzen nicht so in den Nachrichten gewesen.
Das Interview und die Bilder wurden von Lisa Brüßler erstellt