Wie mit Rollenspielen Kreativität und faires Miteinander geübt werden können

BU: Pen &Paper meint das kollaboratives Geschichtenerzählen in Form von Spielen, in denen man für ein paar Stunden in die Rolle einer ausgedachten Figur schlüpft, sagt Rollenspiel-Enthusiast Mario Croner. Wie eine Geschichte erzählt wird, hängt dabei stark von den Regeln ab.

Mario Croner hat sich auf kollaboratives Geschichtenerzählen spezialisiert und leitet leidenschaftlich Rollenspiele an. Er hat uns erzählt, wie man dadurch die Kreativität und ein faires Miteinander weiterentwickeln kann. 

Sozialarbeiter Mario Croner beschäftigt sich seit seinem 16. Lebensjahr mit Rollenspielen. Beim Fachtag gab er einen Workshop zu Fair Play in Pen & Paper Games. Im Prinzip funktioniert es wie ein Brettspiel ohne Brett, sagt Mario und rät allen, die einen Einstieg in die Methode finden wollen, erst einmal selbst zu spielen.

Mario, stell dich doch einmal kurz vor.

Mario Croner: Ich bin beim Fachtag dabei, weil ich mich seitdem ich 16 Jahre alt bin, mit Rollenspielen befasse. In der Corona-Pandemie bin ich noch stärker in das Hobby eingestiegen. Ich bin in einem Leipziger Verein aktiv – dort arbeite ich mit allen Altersgruppen. Eigentlich habe ich Soziale Arbeit studiert und arbeite in einem Internat mit Jugendlichen, die Leistungssport machen.

Wissen Menschen in der Regel, was sich hinter Rollenspielen verbirgt?

Mario Croner: Mittlerweile gibt es mehr Berührungspunkte, sei es durch YouTube, durch Fernsehshows, Streams oder weil es popkulturell gefeatured wird, zum Beispiel in Serien wie Stranger Things oder Big Bang Theory. Das heißt aber nicht, dass die Leute wissen, wie das genau funktioniert, denn die Hemmschwelle ist relativ hoch – es ist schon ein Nischenhobby.

Wie würdest du Rollenspiel jemandem erklären, der noch nie davon gehört hat?

Mario Croner: Grundsätzlich funktioniert Rollenspiel wie ein Brettspiel ohne Brett. Es geht in den meisten Fällen darum, gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Meistens sitzen vier, fünf, sechs Personen an einem Tisch. Eine Person ist die Spielleitung. Die Spielleitung ist gleichermaßen Moderation, eine Art Regisseur*in und Geschichtenerzähler*in und kennt die Regeln.

…das bist in der Regel du?

Mario Croner: Genau. Die Spielleitung leitet das Ganze an und je nachdem, was für ein Spiel man spielt, hat man einen unterschiedlich breit gefassten partizipativen Ansatz. Es gibt Spiele, da liest man eine Seite und sagt, du kannst entscheiden, ob du nach links oder rechts durch die Tür gehst und dann liest du auf Seite 39 oder auf Seite 72 weiter und so entwickelt sich die Geschichte. Man hat immer nur eine kleine, punktuelle Entscheidung. Und es gibt Spiele, in denen die Spieler*innen kreativ werden, Spielinhalte mitgestalten und durch Fragen der Spielleitung oder die das Spiel vorgibt, ganze Orte, Landstriche, Völker oder was auch immer es in diesem Spiel gibt, aktiv mitbestimmen.

Die meisten Spiele sind also wie ein großes Abenteuer?

Mario Croner: Ja, das ist wie bei „Herr der Ringe“ oder „Star Wars“: Es gibt immer eine Gruppe von Leuten, die ein Ziel erreichen wollen und auf dem Weg dorthin stoßen sie auf Hindernisse. Ohne Hindernisse, ohne Konflikte ist es meistens langweilig, es passiert nichts. Es ist also auch die Aufgabe der Spielleitung, diese Konflikte ein bisschen reinzubringen. Es gibt auch Spiele, in denen Konflikte unter den Spieler*innen angelegt sind. Da ist das Thema Fairness und Fairplay sehr relevant. Stellen wir uns vor, man hat wie bei „Herr der Ringe“ eine immens starke und eine eher schwache Figur – wie sieht dann Fairness aus? Wie kann der Weg mit Gefährten gegangen werden und wie wird das auf der narrativen Ebene ausgetragen?

Da braucht es eine andere Kommunikationsebene, oder?

Mario Croner: Das Instrument ist die Meta-Ebene. Also dass man sagt, man spricht mit den Leuten nicht nur im Spielkontext, sondern man einigt sich auch darauf, wie wir ein Spiel spielen wollen, wie wir die Kommunikation miteinander eröffnen und welche konkreten Werkzeuge es dafür gibt.

Kann die Meta-Ebene helfen, das auch auf andere Situationen zu übertragen?

Mario Croner: Ich glaube, eine sinnvolle, zielgerichtete Kommunikation, wo man auch mal einen Schritt zurücktritt, ist immer hilfreich. Insofern kann man die Meta-Ebenen-Kommunikation von Rollenspielen schon auf das Leben übertragen. Rollenspiele sind allerdings sehr stark eingebettet in Struktur: Es gibt einen moderierten Einleitungsteil, einen Anfang und ein Ende und oft eine Feedbackrunde. Außerdem werden vorher Gesprächsregeln festgelegt und Themen aus der Fiktion ausgeschlossen. Wenn ich mit fünf Leuten in einer Kneipe sitze und jemand sagt etwas, das zum Beispiel Rassismus bedient, sind natürlich vorher keine Gesprächsregeln festgelegt worden und ich müsste aus meiner persönlichen Haltung heraus intervenieren.

Wie gehst du vor, wenn du Spielrunden für Menschen anbietest, die du nicht kennst?

Mario Croner: Ich versuche immer, sie abzuholen und mit den Rahmenbedingungen zu konfrontieren. Die meisten Leute, mit denen ich spiele, sind einfach nur interessiert und finden das Hobby spannend. Es geht selten um einen bildungstechnischen Hintergrund. Aber ich denke, dass eine Sensibilisierung stattfinden kann: Menschen, die sich Rollenspiel-Kontext zum ersten Mal mit etwas beschäftigen, können lernen, auch im echten Leben mal kurz auf „Pause“ zu drücken und zum Beispiel nachzufragen, wie etwas gemeint ist. Ich habe schon Rückmeldungen von Leuten bekommen, die Meta-Level-Tools am Anfang für nutzlos hielten, die aber in Spielrunden, in denen keine Safety Tools eingesetzt wurden, gemerkt haben, dass damit ein ganz anderer Ansatz von Kommunikation möglich wird.

Du würdest also sagen, dass man in Rollenspielen auch Dinge falsch machen kann?

Mario Croner: Es wird in der Szene oft diskutiert, dass es kein Richtig und es kein Falsch gibt und die Leute hauptsächlich Spaß haben sollen. Für mich kann man aber schon Dinge falsch machen – man kann zum Beispiel mit Leuten schlecht umgehen, keine Rücksicht nehmen. Wenn du vier Leute am Tisch hast und eine Person ist sehr ruhig und drei Leute reden die ganze Zeit, dann kann man die eine Person ignorieren und nicht abholen, oder aktiv in die Spielrunde integrieren. Wenn die Person dann sagt, das ist okay so, ist die Meta-Ebene doch genau dafür da. Aber natürlich gibt es auch die, die sagen, die Spielleitung soll sich in so etwas nicht einmischen.

In einem Workshop mit 20 Teilnehmer*innen kann man keine Spielrunde durchführen. Worum ging es dir dann beim Fachtag?

Mario Croner: Wir beginnen mit der Frage „Was ist Rollenspiel überhaupt?“, um ins Gespräch zu kommen darüber, welche Berührungspunkte es bereits gibt. Mir ist es wichtig zu zeigen, dass Rollenspiel nicht gleich Rollenspiel ist, sondern es sehr viele verschiedene Arten gibt, sich diesem spielerischen Konzept zu nähern. Also praktisch in eine Rolle zu schlüpfen und aus dieser heraus eine Geschichte zu erleben – da gibt es ein großes Spektrum an Spielen und spielphilosophischen Ansätzen. Im zweiten Teil des Workshops geht es um die Themen Fairness und Fairplay und wie das zu verorten ist. In einer Spielrunde mit vier, fünf Leuten, in der die Teilnehmer*innen erste eigene Erfahrungen machen, wäre das natürlich noch besser zu erleben.

Ist es auch ein Ziel für dich, Barrieren abzubauen, sodass Rollenspiele mehr eingesetzt werden?

Mario Croner: Die Menschen aus dem pädagogischen Bereich, die sich bei mir melden oder mich bei Veranstaltungen ansprechen, denken darüber nach, Rollenspiele in ihrer Arbeit einzusetzen. Der Trugschluss, den ich dabei oft erlebe, ist, dass sie sagen, sie brauchen ein Rollenspiel, das an den Lehrplan angepasst ist oder einen explizit pädagogischen Ansatz hat. Ich denke mehr, dass wenn du überhaupt etwas machst, wo fünf Leute an einen Tisch sitzen, miteinander reden, gemeinsam Regeln abstecken, sich daran halten müssen und permanent in sozialer Interaktion sind, dann haben sie allein dadurch einen Lernerfolg.

Hast du einen Tipp für den Einstieg in die Welt der Rollenspiele? Ein paar Bücher zu lesen reicht wahrscheinlich nicht aus, oder?

Mario Croner: Klar, man kann sich ein Buch kaufen, es lesen und ausprobieren, aber es ist ein Prozess. Ich beschäftige mich immer noch neu mit Spielen, Ideen und Ansätzen. Oft haben die Leute eine Hemmschwelle, so ein Buch zu kaufen, es zu lesen und dann anzuwenden. Es selbst auszuprobieren im Spiel ist aus meiner Sicht wichtig. Da können Spielenachmittage von Vereinen eine gute Gelegenheit für sein, sich mal drei, vier Stunden hinzusetzen und das einfach auszuprobieren. Am 22. und 23. März gibt es zum Beispiel beim Gratis-Rollenspieltag wieder die Gelegenheit dazu.

BU: Im Spiel „Brindlewood Bay“ geht es etwa um eine Gruppe älterer Damen, die zusammen in Kriminalfällen ermittelt. Die Spielleitung beschreibt das Szenario, die Teilnehmer*innen spielen die älteren Damen. Das Buch liefert dabei Hintergrundinfos zu der Welt. Viele Spiele können an einem einzelnen Nachmittag gespielt werden oder als Kampagne in mehreren Terminen hintereinander.

Das Interview und die Bilder wurden von Lisa Brüßler erstellt. 

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