JUGENDARBEIT GESTALTET ZUKUNFT | Wie innovative Ansätze junge Menschen stärken und verbinden können | 19.11.2024 | Leipzig

60 Fachkräfte der Jugendarbeit trafen sich Ende November im Europahaus Leipzig, um sich unter dem Motto „Jugendarbeit gestaltet Zukunft“ über innovative Methoden des transformativen Lernens und Engagements auszutauschen. Angesichts von zehn Jahren „wir weit weg“ gab es beim Fachtag der Kindervereinigung Leipzig auch etwas zu feiern.

Eine goldene Kugel hängt an einem Kabel in der Mitte des Raumes. Auf den ersten Blick sieht sie aus wie eine Diskokugel, doch bei näherem Hinsehen fallen zwei große Ohren auf, in denen Kopfhörer stecken. Es handelt sich um eine Installation mit binauralen Mikrofonen, die alle Geräusche im Raum aufnehmen. Am Mischpult hinter dem Klangkopf und an den im Raum verteilten Instrumenten hantieren Maike, Johannes und Beat vom Kollektiv Eigenklang.

Sie verwandeln den Raum in einen Soundspielplatz: Die Ohren des Klangkopfes werden für die Teilnehmer*innen der interaktiven Performance quasi zu den eigenen. Mithilfe von Loops, Echos, Synthesizern, Bässen, Instrumenten, Geräuschen und den Stimmen entstehen immer neue Klänge, die die Menschen über Funkkopfhörer in eine neue Welt entführen. Menschen zusammenbringen, gemeinsam etwas kreieren, Impulse von außen aufnehmen – die Soundperformance sorgte vor allem für eines: Inspiration.

 

Warum echte Partizipation besondere Lernerfahrungen ermöglicht

Genau das war das Ziel des Fachtages „Jugendarbeit gestaltet Zukunft“ der Kindervereinigung Leipzig am 19. November im Europahaus Leipzig. 60 Fachkräfte der internationalen Jugendarbeit und non-formalen Bildung waren gekommen. Das Ziel: Sich mit aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung zu Bildung für nachhaltige Entwicklung und innovativen Methoden des transformativen Lernens und Engagements für die eigene Praxis vertraut zu machen. Die Themen der Diskussionen reichten dabei von nachhaltiger Mobilität, Selbstwirksamkeit und globaler Gerechtigkeit bis zu Kinderrechten.

Zu Beginn ließen die „wir weit weg“-Coaches Janina Rüther und Sina Paske gemeinsam mit Akteur*innen aus dem Projekt für Jugendliche an Haupt- und Realschulen in Leipzig und Westsachsen Momente und Ergebnisse aus zehn Jahren „wir weit weg“ Revue passieren.

 

Hundertprozentige Partizipation muss ausgehalten werden

Dass in beteiligungsorientierten Projekten neben interkulturellen Kompetenzen vor allem persönliche Fähigkeiten gewonnen werden, unterstrich Pauline Günther, die mit einem Austausch nach Barcelona gereist war: „Am meisten habe ich über meine eigene Selbstständigkeit gelernt.“ „Zu sehen, was in den Köpfen der Schüler*innen passiert, die Entwicklung über ein Jahr mitzuerleben, das ist es, was es besonders macht“, gab Valentin Heckmann Einblick in die Perspektive der Coaches. Die hundertprozentige Partizipation von Jugendlichen auszuhalten und nicht einzugreifen, könne eine Herausforderung sein, sei aber auch „der Zauber des Projekts“, meinte Coachin Eva Claassen. Sie habe sich durch das Projekt mit Adultismus auseinandergesetzt und festgestellt, dass Jugendlichen oftmals wenig Stimme gegeben werde.

 

Das betonte auch Lisa Dörfler in ihrem Vortrag über den Zusammenhang von Klimakrise, Gerechtigkeitsfragen und Kinderrechten. Dörfler ist Referentin für Klimaschutz in der Sozialen Arbeit beim Paritätischen Gesamtverband. In der internationalen Jugendarbeit sei es entscheidend, diese Themen miteinander zu verknüpfen. Etwa bei der Frage der Ortswahl einer Jugendbegegnung, bei der Mobilität, der Verpflegung oder auch der Beschaffung von Materialien. Gleichzeitig müssten systemische Zusammenhänge aufgezeigt werden, etwa in Bezug auf Wirtschafts- und Lebensweisen und globale Gerechtigkeitsfragen.

 

Junge Menschen als Gestalter*innen der Gesellschaft sehen

„Die Folgen der Klimakrise betreffen junge Menschen besonders stark“, sagte Dörfler und verwies auf soziale und gesundheitliche Risiken wie Hitze, Atemwegserkrankungen, aber auch psychische Belastungen durch die sich überlagernden Krisen. Nach Zahlen des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2023 sehen mehr als 70 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 22 Jahren die Zukunft von Umwelt und Klima sehr oder eher pessimistisch, zeigte Dörfler.

Es sei daher wichtig zu betonen, dass junge Menschen nicht die Verantwortung tragen, die Krisen zu bewältigen. Für die internationale Jugendarbeit bedeute dies, Raum für psychosoziale und emotionale Arbeit, Austausch und Gesprächsangebote, aber auch geschützte Räume zu schaffen. Transformative Bildungsangebote stellten eine Möglichkeit dar, Zusammenhänge zu vermitteln, junge Menschen auf veränderte Lebensrealitäten vorzubereiten, sie aber auch zu ermutigen, die Gesellschaft mit ihren Möglichkeiten mitzugestalten und Selbstwirksamkeit zu erfahren, so Dörfler.

Dass neben der Wissensvermittlung, emotionale Resilienz, Selbstwirksamkeit und die Stärkung des Gemeinschaftssinns zentral sind, wurde in fünf Workshops deutlich. Neben der interaktiven Soundperformance-Erfahrung ging es um Coding und (female) Empowerment, das Beschäftigen mit Klimagerechtigkeit und Kolonialismus, den kreativen Einsatz von Rollenspielen und um digitale Technologien zur Stärkung junger Menschen.

 

Ein Makerspace, in dem Jugendliche kreativ werden sollen

Die Digital-Coaches Nilofarr Paknia und Johan Iroegbu aus Schweden gaben einen Einblick in die Arbeit des soziokulturellen Zentrums Trainstation und wie im Makerspace Digitalisierung und Technologie genutzt werden, um das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl junger Menschen zu stärken.

Trainstation in Haninge, eine etwa 100.000 Einwohner umfassende Gemeinde südlich von Stockholm reagiert mit einem physischen Treffpunkt auf gesellschaftliche Herausforderungen wie Bandengewalt, Ausgrenzung, psychische Erkrankungen oder Arbeitslosigkeit. Zwischen 120 und 200 junge Menschen zwischen 10 und 19 Jahren besuchen das Zentrum, das fünf Coaches beschäftigt, jede Woche, um kreativ zu werden. Die Themen reichen von Schmuckherstellung über Roboterbau und 3D-Druck bis hin zu Podcasting und Musik. Immer wichtiger werden auch die lebenspraktischen Themen, berichtet Johann: „Das kann sein, wie man sich um einen Job bewirbt, wie man ein digitales Bankkonto nutzt oder auch am Fahrsimulator Autofahren zu üben, um sich teure Fahrstunden zu sparen“, erzählt er.

 

Einstieg in die Welt der Rollenspiele, Regeln und des Storytellings

Sozialarbeiter und Rollenspiel-Enthusiast Mario Croner gab einen Workshop zu Rollenspiel, Fair Play in Pen and Paper Games und der Bedeutung der Meta-Ebene. Der 35-Jährige beschäftigt sich seit dem 16. Lebensjahr mit Rollenspielen. „Im Prinzip funktioniert es wie ein Brettspiel ohne Brett“, erklärt er. Angesichts wenig Vorerfahrung mit Rollenspielen in der Gruppe, näherte sich der Workshop den Begriffen und Regeln rund um Spielleitung und Spielzüge an, stellte verschiedene Bücher mit Spielen vor und sprach das Thema Fairplay und den Einfluss auf die Kommunikation an. Marios Tipp: Rollenspiele erst selbst als Spieler ausprobieren, um einen Einstieg zu finden. Gehe es um die Anwendung in der eigenen Praxis, sei es sinnvoll, sich die Frage zu stellen, was interessiert mich und was die Zielgruppe und die Umsetzung gemeinsam zu gestalten.

 

Wer sitzt mit am Tisch? Klimagerechtigkeit und Kolonialismus

Studentin Janvi Devi, gab in ihrem Workshop einen Einblick in das Thema und Konzept der Klimagerechtigkeit. Anhand von Textarbeit sowie von Videos aus der Perspektive von Betroffenen erarbeitete die Gruppe unter anderem, wie Greenwashing, ökologischer Fußabdruck und Kapitalismus zusammenhängen. Auch Begriffe wie Klimaschulden, Umweltrassismus und die Auswirkungen auf die Klimakrise wurden diskutiert. Deutlich wurde, dass es notwendig ist, bestehende Strukturen zu hinterfragen und inklusiver zu gestalten. Für globale Gerechtigkeit brauche es zudem systemische Veränderungen. Denvis Ansatz dabei: „Aktivismus erreicht man nur, wenn man Menschen motiviert“ – nicht etwa durch Vorschriften dazu, was gekauft werden dürfe und was nicht.

 

 

(Female) Empowerment durch Coding

Wie der Microcontroller Calliope mini in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt und ein niedrigschwelliger Einstieg ins Programmieren aussehen kann, zeigten Kristin Fritsch und Elisa Haubert vom Verein Nullaufeins. Die Gruppe von Entwickler:innen und Kreativen aus Leipzig will insbesondere Frauen auf ihrem Weg in die IT unterstützen.

 

Im Workshop zeigten sie das Programmieren mit dem Block-Editor und wie der Calliope zur intelligenten Pflanzenpflege eingesetzt werden kann: Mithilfe eines Feuchtigkeitssensors kann beispielsweise gemessen werden, ob eine Pflanze zu nass oder zu trocken ist oder wie die Temperatur- und Lichtverhältnisse an einem Standort sind. „Der Calliope Mini ist ein Einsteigertool, richtet sich an Kinder ab der 3. Klasse und kostet circa 30 Euro“, sagte Fritsch. Das Schöne daran sei, dass es schnell Erfolgserlebnisse gebe. Aber auch komplexere Programmierungen mit richtigem Code seien möglich und verschiedene Sprachen stünden zur Auswahl, erklärt Fritsch.

 

Die vorgestellten Methoden und Ansätze machten erlebbar, dass internationale Jugendarbeit ein Hebel sein kann, um Veränderung anzustoßen, ob über den innovativen Einsatz von Technologie oder über Kreativität. Sie symbolisierten aber auch die Kernbotschaft des Fachtages: Junge Menschen brauchen Räume, um sich auszudrücken, andere Perspektiven einzunehmen, Neues auszuprobieren – und so gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

 

Text von Lisa Brüßler
Bilder von Lisa Brüßler und Valentin Heckmann
Veröffentlicht von Alessio Laterza

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